Werbung? Nein, Danke!
Werbung muss aus öffentlichen Räumen verschwinden – finden Lasse und David. Wie läuft ihr "Projekt Platzhalter" und was steckt eigentlich genau dahinter?
Ein Text von Katharina Stein
Eine bemalte Litfaßsäule schmückt die Straße gegenüber vom Ihmezentrum, am Lindener Marktplatz wird plötzlich gemeinsam vor einem Sudoku gerätselt und am E-Damm spielt eine Band. Zwei Wochen im Juni stehen die Hannoveraner Quartiere Linden, Calenberger Neustadt und Nordstadt Kopf.
Hinter den Gemeinschaftsaktionen, die die Werbeflächen schmücken, stecken Lasse Schlegel und David Schwarzfeld. Sie beide sind Studierende aus Hannover und nennen ihre Idee "Projekt Platzhalter". Ihr Ziel? "Um es kurz zu fassen: Wir wollen Werbung verdrängen, weil sie uns tagtäglich befeuert und wir uns ihr im öffentlichen Raum nicht entziehen können", so Schwarzfeld.
Auf die Idee des Projekt Platzhalters sind sie, na klar, unterwegs in Hannover gekommen. "Während des ersten Lockdowns waren Lasse und ich viel gemeinsam spazieren und sind dabei immer öfter auch in die Innenstadt gegangen. Dort war es total leer und alles was dort übriggeblieben ist, waren viele Werbeflächen. Da haben wir uns gedacht: Wir als Gestalter*innen könnten eigentlich etwas Besseres daraus machen", erklärt David.
Das Projekt Platzhalter ist nicht das erste seiner Art. Eine der ersten werbefreien Metropolen weltweit war São Paulo, 2007 wurde dort das "Clean City Law" ausgesprochen. Infolgedessen sind 15.000 Plakatwände und rund 300.000 beschriftete Ladenfronten entfernt worden.
Kritiker*innen des Werbeverbots warnten die Regierung davor, dass es Menschen ohne Werbung langweilig werden und die Stadt veröden würde. Eine nachträgliche Befragung ergab jedoch das genaue Gegenteil: 70% der Bürger*innen gaben an, dass sie das Verbot begrüßen.
David und Lasse bringen diese Idee nach Hannover, indem sie aus den leerstehenden Werbeflächen Orte der Gemeinschaft entstehen lassen wollen. Gesagt, getan. Doch schnell stehen sie ihrer ersten Herausforderung gegenüber: Die Finanzierung ihres Projekts. Ein Treffen mit Ströer, einem der größten deutschen Firmen für Außenwerbung, geht erst einmal nach hinten los. Statt von ihnen ein Angebot zu erhalten, kommt es zu einem Missverständnis. "Ströer hat uns nur erzählt, wie wahnsinnig gut wir die Stiftung, mit der wir zusammenarbeiten, promoten könnten. Nach 1 ½ Stunden kamen wir dann auch endlich zu Wort und durften ihnen erzählen, dass das gar nicht unsere Absicht war", lacht David. "Die haben unsere Mail mit dem Briefing scheinbar völlig übergangen". Unterstützt wird das Projekt Platzhalter schlussendlich von der Stiftung Futurzwei und dem Fonds Soziokultur, mit dem auch der erste Testlauf im Juli 2021 in greifbare Nähe rutscht.
Werbung im öffentlichen Raum ist schon seit der Antike ein wirksames Mittel um Produkte und Unternehmen zu vermarkten. Zwar werden heute keine Gladiatorenkämpfe mehr beworben – aber ist das Prinzip dasselbe geblieben. Allerdings hat die Werbe-Medaille auch eine sehr dunkle Kehrseite: Der Konsum von privaten Haushalten ist für mehr als ein Viertel der Treibhausgase in Deutschland verantwortlich. Und darin ist, wie das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit anmerkt, die Produktion der Konsumgüter noch nicht einmal eingerechnet. Der übermäßige Konsum der Gesellschaft beeinflusst nicht nur die Wirtschaft und das soziale Umfeld der Menschen, sondern vor allem den Zustand des Planeten Erde. Und das alles wird durch Werbung befeuert.
Deshalb schlagen Initiativen wie das Projekt "Platzhalter" oder "Zero Pub" (übersetzt: "null Werbung") in Genf einen anderen Weg ein – und machen sich daran, Werbung in öffentlichen Räumen zu verdrängen. In Genf sogar schon mit großem Erfolg: Eine Mehrheit hat im Parlament darüber abgestimmt, dass alle Werbeplakate im öffentlichen Raum bis 2025 verbannt werden. Grund dafür war ein auslaufender Vertrag mit einer Werbefirma, durch den zwei Wochen über 3.000 Werbeflächen leer standen.
Die Menschen fingen an, die freien Flächen zu bemalen und Nachrichten darauf zu verewigen. Auf Emmanuel Deonna, der Teil der Zero Pub-Initiative ist, wirkte es "als würden sich die Menschen die Stadt zurückerobern". Und das ist auch das Ziel von Lasse und David in Hannover.
Nach langer Konzeption geht das Projekt im Sommer 2021 an den Start. Eine Zielscheibe, auf der gemeinsam mit Bällen gekickt werden kann, eine Malsäule auf der Künstler*innen sich verewigen, ein Freiluftkino auf einem Parkplatz und ein Basketballkorb sind nur ein Teil der insgesamt zehn Flächen, die in den drei Hannoveraner Vierteln ausgestellt werden.
Ein besonderes Highlight für die zwei Männer ist die Musik-Säule am E-Damm. Dort haben befreundete Musiker*innen ein Konzert für die Passant*innen gespielt. David erinnert sich: "Das war der erste Tag des Pilots, wo wir alles noch aufgebaut haben, deshalb kamen wir etwas abgehetzt bei der Open Stage an. Plötzlich sind dort fast 30 Leute einfach stehen geblieben, haben mitgesungen, getanzt, manche haben das ganze fotografiert und gefilmt. Das war ein Highlight." Natürlich gab es auch ein, zwei Ideen, die leider nicht funktioniert haben wie vorgestellt: Eine Säule wurde kaum von Bürger*innen beschrieben, eine andere vom Anbieter aus unbekannten Gründen gar nicht erst aufgehängt.
Trotzdem war der Testzeitraum für Lasse und David ein voller Erfolg. Und das Projekt Platzhalter ist noch längst nicht am Ende. Es folgen ein Workshop mit einer Schule im Stadtteil Wunstorf im Dezember und verschiedene Workshops in den Räumlichkeiten der Hochschule Hannover im Jahr 2022. Und die Mühe lohnt sich – das Projekt Platzhalter fällt auch verschiedenen Gremien auf. So werden die beiden Männer vom Deutschen Designer Club in der Sparte "Raum" ausgezeichnet. Für David und Lasse ist klar: Das Projekt "Platzhalter" bleibt. Schwarzfeld schlussfolgert: "Ich habe den Wunsch, dass es weniger Werbung gibt und stattdessen Menschen etwas für Menschen gestalten können. Ich habe einen Riesenspaß am Projekt Platzhalter und ich hoffe sehr, dass ich in zehn Jahren immer noch daran arbeiten darf."
Credits
Portrait: Dirk Rose / PACT Zollverein
Foto Haltestelle: Jan Schölzel
Werbung? Nein, Danke!
Werbung muss aus öffentlichen Räumen verschwinden – finden Lasse und David. Wie läuft ihr "Projekt Platzhalter" und was steckt eigentlich genau dahinter?
Ein Text von Katharina Stein
Eine bemalte Litfaßsäule schmückt die Straße gegenüber vom Ihmezentrum, am Lindener Marktplatz wird plötzlich gemeinsam vor einem Sudoku gerätselt und am E-Damm spielt eine Band. Zwei Wochen im Juni stehen die Hannoveraner Quartiere Linden, Calenberger Neustadt und Nordstadt Kopf.
Hinter den Gemeinschaftsaktionen, die die Werbeflächen schmücken, stecken Lasse Schlegel und David Schwarzfeld. Sie beide sind Studierende aus Hannover und nennen ihre Idee "Projekt Platzhalter". Ihr Ziel? "Um es kurz zu fassen: Wir wollen Werbung verdrängen, weil sie uns tagtäglich befeuert und wir uns ihr im öffentlichen Raum nicht entziehen können", so Schwarzfeld.
Auf die Idee des Projekt Platzhalters sind sie, na klar, unterwegs in Hannover gekommen. "Während des ersten Lockdowns waren Lasse und ich viel gemeinsam spazieren und sind dabei immer öfter auch in die Innenstadt gegangen. Dort war es total leer und alles was dort übriggeblieben ist, waren viele Werbeflächen. Da haben wir uns gedacht: Wir als Gestalter*innen könnten eigentlich etwas Besseres daraus machen", erklärt David.
Das Projekt Platzhalter ist nicht das erste seiner Art. Eine der ersten werbefreien Metropolen weltweit war São Paulo, 2007 wurde dort das "Clean City Law" ausgesprochen. Infolgedessen sind 15.000 Plakatwände und rund 300.000 beschriftete Ladenfronten entfernt worden.
Kritiker*innen des Werbeverbots warnten die Regierung davor, dass es Menschen ohne Werbung langweilig werden und die Stadt veröden würde. Eine nachträgliche Befragung ergab jedoch das genaue Gegenteil: 70% der Bürger*innen gaben an, dass sie das Verbot begrüßen.
David und Lasse bringen diese Idee nach Hannover, indem sie aus den leerstehenden Werbeflächen Orte der Gemeinschaft entstehen lassen wollen. Gesagt, getan. Doch schnell stehen sie ihrer ersten Herausforderung gegenüber: Die Finanzierung ihres Projekts. Ein Treffen mit Ströer, einem der größten deutschen Firmen für Außenwerbung, geht erst einmal nach hinten los. Statt von ihnen ein Angebot zu erhalten, kommt es zu einem Missverständnis. "Ströer hat uns nur erzählt, wie wahnsinnig gut wir die Stiftung, mit der wir zusammenarbeiten, promoten könnten. Nach 1 ½ Stunden kamen wir dann auch endlich zu Wort und durften ihnen erzählen, dass das gar nicht unsere Absicht war", lacht David. "Die haben unsere Mail mit dem Briefing scheinbar völlig übergangen". Unterstützt wird das Projekt Platzhalter schlussendlich von der Stiftung Futurzwei und dem Fonds Soziokultur, mit dem auch der erste Testlauf im Juli 2021 in greifbare Nähe rutscht.
Werbung im öffentlichen Raum ist schon seit der Antike ein wirksames Mittel um Produkte und Unternehmen zu vermarkten. Zwar werden heute keine Gladiatorenkämpfe mehr beworben – aber ist das Prinzip dasselbe geblieben. Allerdings hat die Werbe-Medaille auch eine sehr dunkle Kehrseite: Der Konsum von privaten Haushalten ist für mehr als ein Viertel der Treibhausgase in Deutschland verantwortlich. Und darin ist, wie das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit anmerkt, die Produktion der Konsumgüter noch nicht einmal eingerechnet. Der übermäßige Konsum der Gesellschaft beeinflusst nicht nur die Wirtschaft und das soziale Umfeld der Menschen, sondern vor allem den Zustand des Planeten Erde. Und das alles wird durch Werbung befeuert.
Deshalb schlagen Initiativen wie das Projekt "Platzhalter" oder "Zero Pub" (übersetzt: "null Werbung") in Genf einen anderen Weg ein – und machen sich daran, Werbung in öffentlichen Räumen zu verdrängen. In Genf sogar schon mit großem Erfolg: Eine Mehrheit hat im Parlament darüber abgestimmt, dass alle Werbeplakate im öffentlichen Raum bis 2025 verbannt werden. Grund dafür war ein auslaufender Vertrag mit einer Werbefirma, durch den zwei Wochen über 3.000 Werbeflächen leer standen.
Die Menschen fingen an, die freien Flächen zu bemalen und Nachrichten darauf zu verewigen. Auf Emmanuel Deonna, der Teil der Zero Pub-Initiative ist, wirkte es "als würden sich die Menschen die Stadt zurückerobern". Und das ist auch das Ziel von Lasse und David in Hannover.
Nach langer Konzeption geht das Projekt im Sommer 2021 an den Start. Eine Zielscheibe, auf der gemeinsam mit Bällen gekickt werden kann, eine Malsäule auf der Künstler*innen sich verewigen, ein Freiluftkino auf einem Parkplatz und ein Basketballkorb sind nur ein Teil der insgesamt zehn Flächen, die in den drei Hannoveraner Vierteln ausgestellt werden.
Ein besonderes Highlight für die zwei Männer ist die Musik-Säule am E-Damm. Dort haben befreundete Musiker*innen ein Konzert für die Passant*innen gespielt. David erinnert sich: "Das war der erste Tag des Pilots, wo wir alles noch aufgebaut haben, deshalb kamen wir etwas abgehetzt bei der Open Stage an. Plötzlich sind dort fast 30 Leute einfach stehen geblieben, haben mitgesungen, getanzt, manche haben das ganze fotografiert und gefilmt. Das war ein Highlight." Natürlich gab es auch ein, zwei Ideen, die leider nicht funktioniert haben wie vorgestellt: Eine Säule wurde kaum von Bürger*innen beschrieben, eine andere vom Anbieter aus unbekannten Gründen gar nicht erst aufgehängt.
Trotzdem war der Testzeitraum für Lasse und David ein voller Erfolg. Und das Projekt Platzhalter ist noch längst nicht am Ende. Es folgen ein Workshop mit einer Schule im Stadtteil Wunstorf im Dezember und verschiedene Workshops in den Räumlichkeiten der Hochschule Hannover im Jahr 2022. Und die Mühe lohnt sich – das Projekt Platzhalter fällt auch verschiedenen Gremien auf. So werden die beiden Männer vom Deutschen Designer Club in der Sparte "Raum" ausgezeichnet. Für David und Lasse ist klar: Das Projekt "Platzhalter" bleibt. Schwarzfeld schlussfolgert: "Ich habe den Wunsch, dass es weniger Werbung gibt und stattdessen Menschen etwas für Menschen gestalten können. Ich habe einen Riesenspaß am Projekt Platzhalter und ich hoffe sehr, dass ich in zehn Jahren immer noch daran arbeiten darf."
Credits
Portrait: Dirk Rose / PACT Zollverein
Foto Haltestelle: Jan Schölzel