Lasse Schlegel (L) und David Schwarzfeld (D) im Interview mit Rika ThomasLink über die Idee hinter "Platzhalter", ihre persönliche Motivation und eine Stadt ohne Werbung.
Hannover, den 7. April 2021
Was macht ihr beruflich?
L
Ich studiere "Design in der digitalen Gesellschaft" an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und arbeite freiberuflich als Grafikdesigner.
D
Ich bin Student im Studiengang "Visuelle Kommunikation" an der Hochschule Hannover.
Was genau versteht man unter dem Projekt "Platzhalter"?
L
Mit Projekt Platzhalter verdrängen wir Werbung aus öffentlichen Räumen. Wir mieten Werbeflächen "zurück" und schaffen um sie herum Orte, an denen Menschen zusammen kommen, spielen und sich austauschen können.
D
Langfristig begleiten wir das Projekt mit einer Reihe Workshops in denen Schüler*innen, Studierende und alle weiteren Interessierten ihre Ideen einbringen können. So demokratisieren wir die Gestaltung öffentlicher Räume.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen? Was waren eure Anreize und ersten Schritte?
L
Im ersten Corona-Lockdown (Frühjahr 2020) sind David und ich viel spazieren gegangen. Vor allem Routen, die wir bisher nicht gegangen waren. Dabei haben wir abwechselnd die Natur genossen und uns über die viele Werbung in Form von Litfaßsäulen, Billboards und Plakatwänden geärgert. Irgendwann haben wir sogar angefangen Fotos von besonders unpassender und platter Werbung zu schießen, die unser Viertel verschandelte. Eigentlich schöne Plätze mit potenziell hoher Aufenthaltsqualität wurden grob in Beschlag genommen. Da fingen wir an die Werbeflächen als eine weiße Leinwand und die vorhande Werbung als "Platzhalter" für etwas Besseres zu betrachten. Die Fotos haben wir retuschiert und als Grundlage für unsere ersten Entwürfe verwendet.
D
Irgendwann waren wir soweit, dass wir anfingen auf der Suche nach möglichst störenden Flächen oder hässlicher Werbung durch die gesamte Stadt zu fahren. Leider war es viel zu einfach sich durch Werbung belästigt zu fühlen. Von da an haben wir viel rumgesponnen, probiert die Idee weiter zu entwickeln, nach Partner*innen gesucht. Am Ende sind wir wieder zur Ursprungsidee zurückgekehrt, allerdings mit neuen Mitspieler*innen wie die Stiftung FUTURZWEI an unserer Seite.
Wie wählt ihr eure Motive aus?
L
Am wichtigsten für unsere Motive ist, dass sie ohne die Interaktion mit Menschen nie "fertig" sein dürfen. Wir wollen unseren Mitmenschen keine weitere Konsumkost vor die Nase setzen. Wir konzentrieren uns auf Werte wie Solidarität und Gemeinschaft und suchen nach Motiven, die im besten Fall genau dazu animieren. Unsere Motive sind ein Angebot. Wer daran nicht interessiert ist, darf die bewusst sehr schlicht gestalteten Plakate gerne übersehen.
Klar ist aber auch, dass wir auch herausfinden müssen, welche Motive funktionieren und angenommen werden. Dafür starten wir im Sommer dieses Jahres unseren Pilotversuch.
Und in gewisser Weise ist das natürlich auch Werbung für unser Projekt. Wir möchten unsere Mitmenschen dazu animieren ihr Viertel selbst zu gestalten, um ihnen in Zukunft dafür eine Plattform bieten zu können.
D
Unsere Motive sollen Ruhe ausstrahlen, Gemeinschaft stiften oder einfach nur Freude verbreiten. Dabei ist uns wichtig, dass wir ohne eine Handlungsaufforderung auskommen und die Flächen selbst einladend genug sind, um Interesse zu wecken. Ganz ohne aufdringliche Gestaltung oder Aufrufe zum Konsum.
In Zukunft wünschen wir uns, dass alle Bewohner*innen eines Viertels darüber mitbestimmen können, was es in ihrem Quartier zu sehen gibt.
Was haltet ihr vom Konsumverhalten der Menschen?
L
Maßlos, egoistisch und unkreativ. Ich denke, wir haben Konsum zu einer Art Medikament gemacht, mit dem wir die Symptome Überforderung, Unzufriedenheit, Angst und Stress unserer aktuellen Lebensweise behandeln, ohne wirklich etwas an den Ursachen zu verändern. Blöd nur, dass Konsumgüter durch ihre pure Anwesenheit schon neuen Stress verursachen. Schließlich frisst alles, was konsumiert wird auch Zeit und Aufmerksamkeit. Ein Teufelskreis, der den wirklich wichtigen Werten für uns in einer Demokratie, nämlich Gemeinschaft und Auseinandersetzung im Wege steht.
D
Dem habe ich nichts zu ergänzen.
Meint ihr dass Werbung, insbesondere Plakatwerbung, unseren Konsum negativ beeinflusst?
L
Werbung kostet Geld, ist also für Unternehmen eine Investition, von der sie sich erhoffen, dass sie mehr einspielt, als sie gekostet hat. Hinter dem "eingespielten Geld" stehen dann wiederum Menschen wie Du und Ich, die die Konsumgüter kaufen. Je größer das Unternehmen, desto präsenter kann es seine Werbung platzieren. Hier ziehen junge, innovative Unternehmen oft den Kürzeren, da sie nicht über die notwendigen Werbeetats verfügen oder sie machen sich abhängig von Investoren.
Ganz abgesehen davon ist Werbung oft noch sehr konservativ, um es mal milde auszudrücken, und vermittelt völlig überholte Rollenbilder. Mich ödet es total an, durch die Stadt zu gehen und von längst überholten Klischees "echter Männer" zum Rauchen animiert zu werden.
D
Die Wirkungsweise von Werbung hat sich in den letzten zehn/fünfzehn Jahren verändert. Heute geht es mehr darum durch Reichweite und Präsenz eine Marke in die Köpfe der Menschen zu bekommen. Der individuelle Nutzen und ökologische sowie soziale Auswirkungen spielen kaum eine Rolle und werden, wenn überhaupt, nur halbherzig und nachträglich kontrolliert (durch Kontrollinstanzen wie dem Werberat zum Beispiel).
Welchen Effekt hätte es, wenn Plakatwerbung verschwinden oder reduziert werden würde? Würde sich der Überkonsum reduzieren?
L
Das wäre glaube ich zu einfach gedacht. Es gibt so viele andere Plattformen, gerade im Internet und auf Social Media, über die Werbung viel zielgruppenorientierter, günstiger und somit auch effektiver gestreut werden kann. Deshalb geht es uns vor allem um das Miteinander und eine Demokratisierung der Gestaltung von öffentlichen Räumen.
Werbetreibende setzen meistens großflächige Kampagnen um, die wenig mit den regionalen Bedürfnissen der Bewohner*innen zu tun haben. So entstehen teilweise skurrile Situationen, wo Motiv und Ort ganz offensichtlich nicht zueinander passen. Da intervenieren wir und stellen den Anwohner*innen genau solcher Orte ein Tool für die Mitgestaltung zur Verfügung.
Es fehlt ein Basketballkorb? Okay, dann mieten wir eine geeignete Fläche, montieren einen Korb und die Menschen können spielen. Plötzlich bekommt dieser Platz auf einfachste Weise einen neuen Wert zugeschrieben.
D
Vor allem aber macht es die Welt frei von etwas Hässlichem und offener für Schönes. Mit unserem Projekt präsentieren wir einen Vorschlag für einen Neuanfang. Ob am Ende etwas Neues entsteht oder einfach nur "Altes" verschwindet, sollen die Menschen, die es betrifft mit entscheiden dürfen. Ich glaube, das viel größere Potential liegt in der Mitgestaltung des eigenen Quartiers.
Auf eurer Website schreibt ihr, dass Werbung den Überkonsum verstärkt und ökologische und soziologische Probleme befeuert. Sollte Werbung generell abgeschafft werden?
L
Das ist tatsächlich der Satz, auf den wir am meisten angesprochen werden. Zugegebenerweise ist er auch am provokantesten formuliert. Um es kurz zu fassen: Ich denke nicht, dass Werbung komplett abgeschafft werden muss, um unseren Überkonsum in den Griff zu bekommen. Aber sie sollte neue Wege gehen. Weg von Rollenklischees und stumpfen Konsumbotschaften á la "Kauf mich". Ich denke da eher an längerfristige Imagekampagnen.
Nehmen wir noch einmal das Beispiel des Basketballkorbes. Angenommen Sportcheck steigt als Sponsor ein und stellt eine Plakatwand und einen Basketballkorb für zwei Monate zur Verfügung – dafür gibt es dann einen kleinen Sponsorenhinweis auf dem Plakat. Das fände ich als Anwohner sympathisch. Niemand drängt mich morgen loszufahren um einen Basketballkorb zu kaufen, aber wenn ich irgendwann dann doch den Bedarf verspüren würde, wüsste ich vermutlich, wo ich hingehen möchte. Auch in einer perfekten Welt hören wir ja nicht gänzlich auf zu konsumieren.
D
Rein kommerzielle Werbung gern. Ganz auf Werbung verzichten möchte aber auch ich nicht. Zum einen ist da die Werbung für Kulturveranstaltungen, die Werbung für NGO‘s, usw. Auf der anderen Seite kann Werbung auch etwas positives sein. Wenn sie Spaß macht, einen ästhetischen Anblick bietet oder ehrlich die Attribute eines Produktes nennt. Ich denke Werbung sollte viel stärker reglementiert werden. Gesellschaftliche und ökologische Aspekte sollten in den Vordergrund gestellt werden. Werbung sollte sich mehr am Journalismus orientieren.
Was haltet ihr von künstlerischer Werbung? Sollte diese auch aus dem öffentlichen Raum verschwinden?
L
Künstlerische Werbung finde ich super! Es ist nur die Frage, inwieweit das dann noch Werbung ist. Wenn es sich dabei um Werbung für Kunst- und Kulturstätten handelt, geht es ja um Orte der Gemeinschaft und der Auseinandersetzung. Das halte ich für absolut wichtig und demokratiefördernd.
Wenn du Aktionen wie die des "Zentrums für Politische Schönheit" meinst, welche auf ihre Art "Werbung" für Menschenrechte machen, kann ich sagen, dass ich deren Arbeit auch für sehr inspirierend und bedeutsam halte. Sie fordert von mir als Betrachter*in eine Auseinandersetzung mit einem gesellschaftsrelevanten Thema. Da habe ich das Gefühl mindestens genau so viel für mich selbst "mitgenommen" zu haben wie die Erschaffer*innen der Werbung.
D
Werbung für Kunst und Kultur? Keine Frage – sollte es viel mehr geben! Künstlerische Werbung hat für mich vor allem dann eine Berechtigung, wenn es den Rezipient*innen einen neuen Blick auf die Marke oder das Produkt ermöglicht und im Einklang mit dem Ort gestaltet wird.
Ist der einzelne Mensch überhaupt in der Lage etwas an der Situation zu verändern?
L
Ich bin sicher, dass jeder Mensch in der Lage ist, etwas an seiner Situation und der seiner Mitmenschen zu ändern. Das ist doch schon einmal etwas. Und nicht auszudenken, was passiert, wenn es viele von diesen Menschen gibt!
D
Wann machen wir denn schon etwas alleine, oder sind alleine mit einer Meinung? Sicherlich ist es schwieriger, wenn wenige Stimmen die eigene Idee unterstützen, aber Mitstreiter*innen findest du für die meisten sinnhaften Vorhaben.
Was ist eure persönliche Motivation dieses Projekt zu machen?
L
Das Schöne an diesem Projekt ist, dass man immer auf sehr unterschiedliche und spannende Menschen trifft. Abgesehen davon fühlt es sich sehr gut und richtig an, gemeinsam den eigenen Lebensraum zu gestalten. Ich freue mich schon sehr auf das erste Mal, wenn ich einer unserer "Werbeflächen" begegne.
D
Ich hab Lust mit meinen Mitmenschen über die Gestaltung unseres Viertels zu sprechen und zu diskutieren. Am liebsten draußen und vor Ort, dafür bietet Platzhalter die ideale Plattform. Nicht zuletzt, weil viele Menschen unsere Sicht auf konventionelle Werbung teilen können.
Was würdet ihr Menschen raten, die etwas Verändern wollen?
L
Konzentriere dich auf eine Idee, bei der du deine Stärken ausspielen kannst. Such dir Kompliz*innen, die deine Vision teilen. Diskutiere mit Freund*innen aber vor allem mit Fremden. Sei offen für Kritik. Dann mach deine Idee greifbar. Ideen, die umgesetzt werden, auch im kleineren Maßstab, werden ernster genommen.
D
Nicht so viel denken sondern machen.
Credits
Portrait: Jan Schölzel
Lasse Schlegel (L) und David Schwarzfeld (D) im Interview mit Rika ThomasLink über die Idee hinter "Platzhalter", ihre persönliche Motivation und eine Stadt ohne Werbung.
Hannover, den 7. April 2021
Was macht ihr beruflich?
L
Ich studiere "Design in der digitalen Gesellschaft" an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und arbeite freiberuflich als Grafikdesigner.
D
Ich bin Student im Studiengang "Visuelle Kommunikation" an der Hochschule Hannover.
Was genau versteht man unter dem Projekt "Platzhalter"?
L
Mit Projekt Platzhalter verdrängen wir Werbung aus öffentlichen Räumen. Wir mieten Werbeflächen "zurück" und schaffen um sie herum Orte, an denen Menschen zusammen kommen, spielen und sich austauschen können.
D
Langfristig begleiten wir das Projekt mit einer Reihe Workshops in denen Schüler*innen, Studierende und alle weiteren Interessierten ihre Ideen einbringen können. So demokratisieren wir die Gestaltung öffentlicher Räume.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen? Was waren eure Anreize und ersten Schritte?
L
Im ersten Corona-Lockdown (Frühjahr 2020) sind David und ich viel spazieren gegangen. Vor allem Routen, die wir bisher nicht gegangen waren. Dabei haben wir abwechselnd die Natur genossen und uns über die viele Werbung in Form von Litfaßsäulen, Billboards und Plakatwänden geärgert. Irgendwann haben wir sogar angefangen Fotos von besonders unpassender und platter Werbung zu schießen, die unser Viertel verschandelte. Eigentlich schöne Plätze mit potenziell hoher Aufenthaltsqualität wurden grob in Beschlag genommen. Da fingen wir an die Werbeflächen als eine weiße Leinwand und die vorhande Werbung als "Platzhalter" für etwas Besseres zu betrachten. Die Fotos haben wir retuschiert und als Grundlage für unsere ersten Entwürfe verwendet.
D
Irgendwann waren wir soweit, dass wir anfingen auf der Suche nach möglichst störenden Flächen oder hässlicher Werbung durch die gesamte Stadt zu fahren. Leider war es viel zu einfach sich durch Werbung belästigt zu fühlen. Von da an haben wir viel rumgesponnen, probiert die Idee weiter zu entwickeln, nach Partner*innen gesucht. Am Ende sind wir wieder zur Ursprungsidee zurückgekehrt, allerdings mit neuen Mitspieler*innen wie die Stiftung FUTURZWEI an unserer Seite.
Wie wählt ihr eure Motive aus?
L
Am wichtigsten für unsere Motive ist, dass sie ohne die Interaktion mit Menschen nie "fertig" sein dürfen. Wir wollen unseren Mitmenschen keine weitere Konsumkost vor die Nase setzen. Wir konzentrieren uns auf Werte wie Solidarität und Gemeinschaft und suchen nach Motiven, die im besten Fall genau dazu animieren. Unsere Motive sind ein Angebot. Wer daran nicht interessiert ist, darf die bewusst sehr schlicht gestalteten Plakate gerne übersehen.
Klar ist aber auch, dass wir auch herausfinden müssen, welche Motive funktionieren und angenommen werden. Dafür starten wir im Sommer dieses Jahres unseren Pilotversuch.
Und in gewisser Weise ist das natürlich auch Werbung für unser Projekt. Wir möchten unsere Mitmenschen dazu animieren ihr Viertel selbst zu gestalten, um ihnen in Zukunft dafür eine Plattform bieten zu können.
D
Unsere Motive sollen Ruhe ausstrahlen, Gemeinschaft stiften oder einfach nur Freude verbreiten. Dabei ist uns wichtig, dass wir ohne eine Handlungsaufforderung auskommen und die Flächen selbst einladend genug sind, um Interesse zu wecken. Ganz ohne aufdringliche Gestaltung oder Aufrufe zum Konsum.
In Zukunft wünschen wir uns, dass alle Bewohner*innen eines Viertels darüber mitbestimmen können, was es in ihrem Quartier zu sehen gibt.
Was haltet ihr vom Konsumverhalten der Menschen?
L
Maßlos, egoistisch und unkreativ. Ich denke, wir haben Konsum zu einer Art Medikament gemacht, mit dem wir die Symptome Überforderung, Unzufriedenheit, Angst und Stress unserer aktuellen Lebensweise behandeln, ohne wirklich etwas an den Ursachen zu verändern. Blöd nur, dass Konsumgüter durch ihre pure Anwesenheit schon neuen Stress verursachen. Schließlich frisst alles, was konsumiert wird auch Zeit und Aufmerksamkeit. Ein Teufelskreis, der den wirklich wichtigen Werten für uns in einer Demokratie, nämlich Gemeinschaft und Auseinandersetzung im Wege steht.
D
Dem habe ich nichts zu ergänzen.
Meint ihr dass Werbung, insbesondere Plakatwerbung, unseren Konsum negativ beeinflusst?
L
Werbung kostet Geld, ist also für Unternehmen eine Investition, von der sie sich erhoffen, dass sie mehr einspielt, als sie gekostet hat. Hinter dem "eingespielten Geld" stehen dann wiederum Menschen wie Du und Ich, die die Konsumgüter kaufen. Je größer das Unternehmen, desto präsenter kann es seine Werbung platzieren. Hier ziehen junge, innovative Unternehmen oft den Kürzeren, da sie nicht über die notwendigen Werbeetats verfügen oder sie machen sich abhängig von Investoren.
Ganz abgesehen davon ist Werbung oft noch sehr konservativ, um es mal milde auszudrücken, und vermittelt völlig überholte Rollenbilder. Mich ödet es total an, durch die Stadt zu gehen und von längst überholten Klischees "echter Männer" zum Rauchen animiert zu werden.
D
Die Wirkungsweise von Werbung hat sich in den letzten zehn/fünfzehn Jahren verändert. Heute geht es mehr darum durch Reichweite und Präsenz eine Marke in die Köpfe der Menschen zu bekommen. Der individuelle Nutzen und ökologische sowie soziale Auswirkungen spielen kaum eine Rolle und werden, wenn überhaupt, nur halbherzig und nachträglich kontrolliert (durch Kontrollinstanzen wie dem Werberat zum Beispiel).
Welchen Effekt hätte es, wenn Plakatwerbung verschwinden oder reduziert werden würde? Würde sich der Überkonsum reduzieren?
L
Das wäre glaube ich zu einfach gedacht. Es gibt so viele andere Plattformen, gerade im Internet und auf Social Media, über die Werbung viel zielgruppenorientierter, günstiger und somit auch effektiver gestreut werden kann. Deshalb geht es uns vor allem um das Miteinander und eine Demokratisierung der Gestaltung von öffentlichen Räumen.
Werbetreibende setzen meistens großflächige Kampagnen um, die wenig mit den regionalen Bedürfnissen der Bewohner*innen zu tun haben. So entstehen teilweise skurrile Situationen, wo Motiv und Ort ganz offensichtlich nicht zueinander passen. Da intervenieren wir und stellen den Anwohner*innen genau solcher Orte ein Tool für die Mitgestaltung zur Verfügung.
Es fehlt ein Basketballkorb? Okay, dann mieten wir eine geeignete Fläche, montieren einen Korb und die Menschen können spielen. Plötzlich bekommt dieser Platz auf einfachste Weise einen neuen Wert zugeschrieben.
D
Vor allem aber macht es die Welt frei von etwas Hässlichem und offener für Schönes. Mit unserem Projekt präsentieren wir einen Vorschlag für einen Neuanfang. Ob am Ende etwas Neues entsteht oder einfach nur "Altes" verschwindet, sollen die Menschen, die es betrifft mit entscheiden dürfen. Ich glaube, das viel größere Potential liegt in der Mitgestaltung des eigenen Quartiers.
Auf eurer Website schreibt ihr, dass Werbung den Überkonsum verstärkt und ökologische und soziologische Probleme befeuert. Sollte Werbung generell abgeschafft werden?
L
Das ist tatsächlich der Satz, auf den wir am meisten angesprochen werden. Zugegebenerweise ist er auch am provokantesten formuliert. Um es kurz zu fassen: Ich denke nicht, dass Werbung komplett abgeschafft werden muss, um unseren Überkonsum in den Griff zu bekommen. Aber sie sollte neue Wege gehen. Weg von Rollenklischees und stumpfen Konsumbotschaften á la "Kauf mich". Ich denke da eher an längerfristige Imagekampagnen.
Nehmen wir noch einmal das Beispiel des Basketballkorbes. Angenommen Sportcheck steigt als Sponsor ein und stellt eine Plakatwand und einen Basketballkorb für zwei Monate zur Verfügung – dafür gibt es dann einen kleinen Sponsorenhinweis auf dem Plakat. Das fände ich als Anwohner sympathisch. Niemand drängt mich morgen loszufahren um einen Basketballkorb zu kaufen, aber wenn ich irgendwann dann doch den Bedarf verspüren würde, wüsste ich vermutlich, wo ich hingehen möchte. Auch in einer perfekten Welt hören wir ja nicht gänzlich auf zu konsumieren.
D
Rein kommerzielle Werbung gern. Ganz auf Werbung verzichten möchte aber auch ich nicht. Zum einen ist da die Werbung für Kulturveranstaltungen, die Werbung für NGO‘s, usw. Auf der anderen Seite kann Werbung auch etwas positives sein. Wenn sie Spaß macht, einen ästhetischen Anblick bietet oder ehrlich die Attribute eines Produktes nennt. Ich denke Werbung sollte viel stärker reglementiert werden. Gesellschaftliche und ökologische Aspekte sollten in den Vordergrund gestellt werden. Werbung sollte sich mehr am Journalismus orientieren.
Was haltet ihr von künstlerischer Werbung? Sollte diese auch aus dem öffentlichen Raum verschwinden?
L
Künstlerische Werbung finde ich super! Es ist nur die Frage, inwieweit das dann noch Werbung ist. Wenn es sich dabei um Werbung für Kunst- und Kulturstätten handelt, geht es ja um Orte der Gemeinschaft und der Auseinandersetzung. Das halte ich für absolut wichtig und demokratiefördernd.
Wenn du Aktionen wie die des "Zentrums für Politische Schönheit" meinst, welche auf ihre Art "Werbung" für Menschenrechte machen, kann ich sagen, dass ich deren Arbeit auch für sehr inspirierend und bedeutsam halte. Sie fordert von mir als Betrachter*in eine Auseinandersetzung mit einem gesellschaftsrelevanten Thema. Da habe ich das Gefühl mindestens genau so viel für mich selbst "mitgenommen" zu haben wie die Erschaffer*innen der Werbung.
D
Werbung für Kunst und Kultur? Keine Frage – sollte es viel mehr geben! Künstlerische Werbung hat für mich vor allem dann eine Berechtigung, wenn es den Rezipient*innen einen neuen Blick auf die Marke oder das Produkt ermöglicht und im Einklang mit dem Ort gestaltet wird.
Ist der einzelne Mensch überhaupt in der Lage etwas an der Situation zu verändern?
L
Ich bin sicher, dass jeder Mensch in der Lage ist, etwas an seiner Situation und der seiner Mitmenschen zu ändern. Das ist doch schon einmal etwas. Und nicht auszudenken, was passiert, wenn es viele von diesen Menschen gibt!
D
Wann machen wir denn schon etwas alleine, oder sind alleine mit einer Meinung? Sicherlich ist es schwieriger, wenn wenige Stimmen die eigene Idee unterstützen, aber Mitstreiter*innen findest du für die meisten sinnhaften Vorhaben.
Was ist eure persönliche Motivation dieses Projekt zu machen?
L
Das Schöne an diesem Projekt ist, dass man immer auf sehr unterschiedliche und spannende Menschen trifft. Abgesehen davon fühlt es sich sehr gut und richtig an, gemeinsam den eigenen Lebensraum zu gestalten. Ich freue mich schon sehr auf das erste Mal, wenn ich einer unserer "Werbeflächen" begegne.
D
Ich hab Lust mit meinen Mitmenschen über die Gestaltung unseres Viertels zu sprechen und zu diskutieren. Am liebsten draußen und vor Ort, dafür bietet Platzhalter die ideale Plattform. Nicht zuletzt, weil viele Menschen unsere Sicht auf konventionelle Werbung teilen können.
Was würdet ihr Menschen raten, die etwas Verändern wollen?
L
Konzentriere dich auf eine Idee, bei der du deine Stärken ausspielen kannst. Such dir Kompliz*innen, die deine Vision teilen. Diskutiere mit Freund*innen aber vor allem mit Fremden. Sei offen für Kritik. Dann mach deine Idee greifbar. Ideen, die umgesetzt werden, auch im kleineren Maßstab, werden ernster genommen.
D
Nicht so viel denken sondern machen.
Credits
Portrait: Jan Schölzel